Kaleidoskop

– oder das Leben ist bunt. So langsam neigt sich dieses merkwürdige, anstrengende und bewegte Jahr dem Ende zu und für viele Menschen bedeutet das, noch einmal innezuhalten und still zu werden, um einen Blick zurückzuwerfen auf das, was war und auch schon mal nach vorne zu luschern auf das, was kommen könnte. Søren Kirkegaard hat gesagt, „verstehen kann man das Leben nur rückwärts, leben kann man es nur vorwärts“…und ich finde, das beschreibt ganz einfach und wunderbar auf den Punkt gebracht, warum es lohnt, sich die Zeit des Innehaltens zu nehmen.

In der Rückschau werden uns Dinge klarer, die uns im Moment des Erlebens vielleicht noch völlig unverständlich waren, mit denen wir nichts anfangen konnten oder mit denen wir gehadert haben. Diese Dinge oder Ereignisse entwirren sich jedoch oftmals in der Folge durch die Prozesse, die sie anstoßen und die im Nachhinein für Klärung sorgen und mit Abstand betrachtet, vieles sogar als logisch oder sinnvoll erscheinen lassen. In den Momenten des Erlebens sind wir immer ganz direkt emotional beteiligt an dem, was passiert – in der Replik haben wir Abstand und (wenn´s gut läuft) neue Einsichten gewonnen, die helfen, alles ein einem neuen und zumeist auch sanfteren Licht zu sehen.

Die bevorstehende Zeit zwischen den Jahren lädt uns ganz besonders dazu ein, zurück- und auch nach vorne zu schauen: Es ist die magische Zeit der Rauhnächte, um die sich viele alte Bräuche und Rituale ranken, und die wie gemacht ist, um das alte Jahr mit all seinen Erscheinungen loszulassen und sich auf das kommende vorzubereiten.

Persönlich bin ich sehr dankbar für das zu Ende gehende Jahr, denn ich konnte mehr noch als in den Vorjahren Yoga als Berufung und Beruf gleichermaßen ausleben und dabei in ganz unterschiedlichen Kontexten immer auf die Unterstützung von euch Schüler*innen und Kolleg*innen, von Freund*innen und meiner Familie zählen. Das hat mich getragen, bereichert und auch immer wieder mit neuer Energie versehen und dafür sage ich an dieser Stelle von Herzen DANKE! Ansonsten habe ich das Jahr mit seinen vielfältigen Krisen aber durchaus auch als fordern empfunden und lasse es daher gerne gehen, um gespannt auf das zu schauen, was kommen wird.

Wenn ich im Yoga eines gelernt habe, dann, dass sich alles im Leben, die Welt im Außen und im eigenen Inneren, in einem permanenten Wandel befindet, nie gleichbleibt und von Moment zu Moment immer ein wenig anders schwingt. Die alten Inder haben dafür das System der Gunas verantwortlich gemacht, das drei Qualitäten beschreibt, die durch ihr beständig verändertes Zusammenwirken alle Zustände der Welt sowie den Menschen in allen Facetten seines Seins prägen. Vor diesem Hintergrund finde ich es unglaublich spannend zu beobachten, wie wirklich alles unentwegt im Fluss ist und sich je nach Situation immer wieder neu präsentiert. Es ist genau das, was das Leben so bunt und vielfältig, aber auch so kompliziert macht. Und es ist genau das, was das Innehalten und Reflektieren so lohnenswert macht. Alles Erlebte, Wahrgenommene betrachtet man rückblickend aus einer anderen Warte, mit anderen Empfindungen – der ganze Kosmos bewegt sich und setzt sich immer wieder neu zusammen, nichts ist eins zu eins reproduzierbar, alles ist einzigartig und immer wieder neu. Es ist ein bisschen so, als würde man durch ein Kaleidoskop schauen, welches, wenn man es dreht, immer wieder neue, bunte Bilder, Formen und Muster hervorbringt.

Das Kaleidoskop des Lebens, das sich von Augenblick zu Augenblick neu entfalten und zusammensetzt, formt für jeden von uns einzigartige Eindrücke, ganz individuell und auch nur so wahrnehmbar. Gut beobachten kann man das zum Beispiel in der Meditation, was letztlich ja nichts anderes ist als innehalten. Vielleicht hast du diese Erfahrung selbst schon mal gemacht – wenn nicht, probiere einfach aus, ein paar Minuten in Stille zu sitzen und dich auf den Punkt zwischen deinen Augenbrauen zu fokussieren. Sei gespannt, was sich dort zeigt und lass alle Bilder, Gedanken, Impulse in loser und vielleicht zusammenhangloser Folge kommen und gehen. Begib dich in die Rolle des Betrachters, der Betrachterin und kehre in diese Rolle zurück, wenn du merkst, dass ein Gedanke dich doch wieder in seinen Bann gezogen hat. Ich finde es unglaublich erholsam und entspannend, den Gedankenmix einfach anzuschauen, ohne etwas damit machen zu müssen, ohne weiterdenken zu müssen, ohne zuständig zu sein. In diesem Sinne wünsche ich dir entspannte Momente des Innehaltens, spannende und erhellende Momente der Rückschau und den einen oder anderen neugierigen Blick voraus.